Ludwig Friedrich Dreier

Geburtsdatum: 21. Mai 1905

Beruf: Coiffeurmeister

Hobbys: Schauspieler und Theaterregisseur, Schach, Jassen, alte Familienakten sammeln

besonderes Merkmal: Isst das Fleisch zum Frühstück

 

Sein Vater, in dessen Niederlassungsbewilligung als Beruf "Reisläufer" angegeben wird, hat seinen abenteuerlichen Lebenslauf um die Jahrhundertwende niedergeschrieben. Die Originalschrift (in gestochen schöner deutscher Kurrentschrift abgefasst) fesselt durch eine unkomplizierte und wahrheitsgetreue Art jeden Leser. Mit Ludwigs Einverständnis haben wir diesen Bericht in einem separaten Büchlein für alle Leser zugänglich gemacht. Eine Kostprobe davon ist diesem Gurtenläufer an anderer Stelle zu entnehmen. Somit kann hier darauf verzichtet werden, Ludwigs Vater entsprechend vorzustellen.

 

Zusammenfassend sei immerhin folgendes über ihn gesagt: In Bern geboren, kam er schon als Zehnjähriger nach Paris, zog von dort nach England, Irland und anschliessend in englische Kriegsdienste nach Ägypten. Im gleichen Jahr absolvierte er in der Schweiz die RS und liess sich von den Holländern in die Niederländisch-Indischen Kriegsdienste verpflichten, wo er 12 Jahre ausharrte. Dann kehrte er nach Bern zurück, gründete hier eine Familie und war zuletzt

als Dienstmann im Bahnhof Bern tätig.

 

Seiner Familie entsprossen fünf Kinder. "Louis", "Lüggu"

oder "Lüdu" wie man ihn auch zu nennen pflegt, war der Jüngste und er behauptet noch heute, er wäre eigentlich schon viel früher geboren, wenn sein Vater damals nicht so scheu gewesen wäre. Das Licht der Welt erblickte er an der Murtenstrasse 56 (dieses Haus steht übrigens noch heute) und aufgewachsen ist er an der Schauplatzgasse 10 (das waren noch Zeiten, als arme Arbeiterfamilien mitten in der Stadt wohnen konnten). An der Schauplatzgasse wohnte Louis dann bis zu seiner Heirat im Jahr 1935. Sämtliche Quittungen seit 1897 für die bezahlten Mietzinse kann Louis heute noch auf den Tisch legen. Interessant ist, dass die Mietzinse sich in den fast 40 Jahren immer zwischen 40 bis 60 Franken bewegten (pro Monat). Auch wenn die heutigen Mietzinse ungefähr das Zwanzigfache ausmachen dürften, waren diese Zinse bei den damaligen Löhnen doch beachtlich. Solche Probleme kümmerten den intelligenten Schlingel Ludwig zuerst nicht allzu sehr. Ihm war wichtiger, dass er vor der Heiliggeistkirche mit seinen Kameraden Fussball spielen durfte, wenn er nicht gerade mit Rossmist sammeln oder anderen, den Kindern vorbehaltenen Arbeiten beschäftigt war. Streiche spielen, war seine Lieblingsbeschäftigung. Mit Stolz zeigt Lüggu übrigens heute noch eine Bussenverfügung der städtischen Polizeidirektion vom 6. Januar 1920, als er "der Widerhandlung gegen die Strassenpolizeiverordnung, begangen durch das Sitzendfahren mit Knabenleiterwagen über den Waisenhausplatz in rasendem Tempo am 5. Januar nachmittags 3 1/2 Uhr und daherigen Gefährdung des Passantenverkehrs" beschuldigt wurde. Ob sein Vater damals ebenso stolz war auf seinen Sprössling, als er ganze 3 Franken Busse hinblättern musste, dürfte allerdings eine andere Frage sein.

 

Immerhin, wenn Ludwig auch ein richtiger Bengel war, so wusste er doch, was er zu tun hatte. Die Schulen besuchte er an der Speichergasse und später erlernte er den Beruf eines Coiffeurs. Die Bedingungen waren damals noch hart für einen Stift. Seinem Lehrvertrag ist zu entnehmen, dass er während der ganzen Ausbildungszeit von drei Jahren keinen Anspruch auf Lohn hatte. Dazu musste er die Utensilien wie Schere, Rasiermesser, Seife, Kamm usw.selber mitbringen und ausserdem wurde genau definiert, was z.B. & quot; strengstens verboten & quot; war (u.a. der Beitritt zu einem Sportverein). Um sein Französisch zu vervollständigen suchte er sich eine Stelle im Welschland. Dort schuftete er für ganze 25 Franken nebst magerer Kost und feuchtem Logis. Als Ausgleich hatte er dafür keinen freien Tag, damit er etwas auf die Seite legen konnte. Kein Wunder, dass ihm der Abstecher nach Echallens nicht gefiel und er es vorzog, wieder in Bern zu arbeiten. Hier eignete er sich alle weiteren Kenntnisse an, die es für einen eigenen Coiffeurbetrieb brauchte. Seine Stationen waren unter anderem die Coiffeurgeschäfte Schär, Graf, Meyer, Strittmatter und Geiser (beim Schweizerhof). Bald einmal war Louis in den damals sehr angesehenen Coiffeurkreisen ein Begriff. Dabei lernte er auch den legendären Dällebach Kari keinen und es verwundert eigentlich niemanden, dass sich die beiden sofort gut verstanden. 1946 eröffnete er an der Belpstrasse 69 einen eigenen Coiffeursalon. Hätte er genügend Geld gehabt, das ganze Mehrfamilienhaus wäre damals für Fr. 170 & 39;000.- zu kaufen gewesen. Aber äbe! Übrigens, sein Coiffeurgeselle war Adolf Iseli (ein echter Gürteler), der bis zu seinem Tode Ludwig und seinem Geschäft die Treue hielt. Ludwig war immer ein Spassvogel. Ähnlich wie bei Dällebach Kari hingen auch an seiner Ladentüre manchmal Plakate wie "bin nebenan" oder "komme sofort", wobei nur

 

Eingeweihte wussten, was mit nebenan gemeint war oder wie lange das sofort dauerte. Als die Mode mit den langen Haaren begann, kamen oft derart zerzauste und verlauste Kerle zu ihm, dass es ihm widerstand, ihnen die Haare zu schneiden. Das sagte er ihnen auf den Kopf zu. Wenn sie trotzdem nicht verschwanden, eröffnete er ihnen den entsprechenden Kostenvoranschlag mit Haarwaschen und allem Drum und Dran.

 

Theaterspielen war sein grossen Talent. Bei der Zytglogge-Gesellschaft war er lange Zeit aktives und geschätztes Mitglied. Er spiele aber nicht nur selber bei unzähligen Theaterstücken mit, sondern stelle sein Können auch als Regisseur zur Verfügung. So profitierten u.a. der gemischte Chor Bümpliz, der Männerchor Kaufleute Bern und die Berner Heimatlüt von seinen Fähigkeiten. Nebst diesem aufwendigen Hobby war er ein vorzüglicher Jasser und ein nicht zu unterschätzender Schachspieler. In unserem Verein war er - vor allem im Cup - als Riesentöter bekannt. Obschon er sich nicht vor der Verantwortung drückte - er leistete z.B. Militärdienst wie jeder andere senkrechte Schweizer - kann er nicht gerade als Ämtlifresser bezeichnet werden. Weder in der Politik noch sonst wo hat er je Chargen übernommen (Ausnahme: Präsident der LiMuVer).

 

1935 heiratete er Rosa Kräuchi. Mit ihr zusammen durfte er viele schöne Stunden erleben.

Sie ist eben eine ganz besonders sympathische Frau und deshalb auch von den Gürtelern ausnahmslos hoch geschätzt. Die beiden machen heute noch den Eindruck wie ein frisch verheiratetes Paar. Dabei können sie in drei Jahren ihre goldene Hochzeit feiern! Alle Gürteler wünschen von Herzen, dass sie bis dahin noch viel Schönes erleben dürfen.

Allerdings blieben auch ihnen schwere Zeiten nicht erspart. Kinder blieben ihnen versagt und Frau Dreier leidet seit Jahren an der heimtückischen Zuckerkrankheit. Ludwig selber musste in den Jahren 1956/57 über 10 Monate wegen Tb in Heiligenschwendi verbringen, was ihn viele Qualen und sechs Rippen gekostet hat. Im April des letzten Jahres erlitt er einen Schlaganfall. Aber unterkriegen liess er sich nicht.

 

Heute verzehrt er wieder seine Cotelettes

zum Frühstück und geniesst seine "Grossen tempo". Hoffentlich noch recht lange!!!

 

 

Otto Neuenschwander - In: Der Gurten-Läufer Nummer 1 1982