Ernst Hediger
Geburtsdatum: 23. September 1910
Beruf: Damenhutmacher, Vorarbeiter, Mechaniker
Hobbys: Malen, Schach, Berg- und Skisport, Singen, Turnen
besonderes Merkmal: Stimmungsjödeler
Als viertes von acht Geschwistern ist er in der Stadt St. Gallen als Sohn eines Zimmerpoliers geboren und aufgewachsen. An seine Jugendzeit hat er keine besonders guten Erinnerungen. Deshalb machte es ihm nichts aus, später sein Brot in anderen Städten zu verdienen. Heue erkennt man den St. Galler nur noch an seinem Dialekt; aber sonst ist er ein richtiger Berner geworden, einer, der uns Bernern passt: kameradschaftlich, fidel und gemütlich!
Immerhin besuchte Aschi die Schulen in St. Gallen und machte dort eine dreijährige Lehrzeit als Damenhutmacher. Nachher rutschte er voll in die grosse Weltkrise hinein. Der aussergewöhnlich kräftige und trotzdem handwerklich geschickte Bursche bemühte sich überall um Arbeit. Nebst seinem gelernten Beruf versuchte er es als Maurer- und Stoffmaler. Und immer wieder ereilte auch ihn das Schicksal als Arbeitsloser. Die Arbeitslosenunterstützung - fünf Franken pro Tag - war einfach zu wenig zum leben und doch zu viel zum sterben. Deshalb versuchte man es nebenbei mit Schwarzarbeit.
Bald einmal verliess Aschi seine Geburtsstadt und probierte es in Zürich und Basel. Aber erst in Bern, bei der Hutfabrik Bähler, fand er endlich eine Stelle, wo er auf seinem Beruf arbeiten und - wenigstens zeitweise - schlecht und recht leben konnte. Da jedoch im Akkord gearbeitet wurde, war auch das nur eine Lotterie. Einmal gab es Arbeit, einmal nicht. Wenn die Aufträge ausblieben, wurde die Lage - besonders für Familienväter - äusserst ungemütlich. Manchmal verdiente er nicht einmal 20 Franken pro Woche.
Wie viele andere Hutfabriken musste auch die Bähler AG der neuen Mode (hutlos) Tribut zollen und Ende der fünfziger Jahre den Konkurs anmelden. Die Arbeiter standen auf der Strasse. Obschon in der Zwischenzeit auf dem Arbeitsmarkt ein anderer Wind wehte, hatten es 50 Jährige recht schwer, eine andere Stelle zu finden. Aschi versuchte es als Hilfsarbeiter in einer Plastik Verarbeitungsfabrik im Liebefeld. Zwei Monate später wurde er bereits Vorarbeiter. Später wechselte er in der gleichen Fabrik in die mechanische Werkstatt, wo er es noch zum Mechaniker und Werkzeugmacher brachte.
Er war immer bescheiden und froh, dass er nun ein rechtes Auskommen hatte und sogar noch etwas auf die hohe Kante legen konnte für seinen Lebensabend. Pension hatte er keine. Es gab lediglich eine Abfindungssumme von Fr. 3'000.- mit 65 Jahren. In der Zwischenzeit - natürlich in der Hutfabrik Bähler - lernte er Gertrud Busti kennen, die ihm 1940 das Wort fürs Leben gab und ihm zwei Jahre später die Tochter Susanne schenkte. Diese wurde 20 Jahre später zu einem hübschen (blonden) Mädchen, von dem einige Gürteler noch heute schwärmen. Hedigers Wohnung war lange Zeit ein gastliches Haus für die Gürteler. Viele Episoden (vom Velo in der Wohnung bis zum Vertauschen der Milchbüchlein an der Weissensteinstrasse 49a) werden noch heute herumgeboten. Tatsache ist, dass die Schächeler immer willkommen waren und wohl hie und da auch eins über den Durst getrunken haben. Aschi war eben ein prächtiger Gastgeber und seine Frau unterstützte ihn, solange sie konnte. Aber bereits nach acht Ehejahren erkrankte Frau Hediger an MS, dieser heimtückischen Krankheit, die sie Schub um Schub bis zur Hilflosigkeit brachte. Seit 1960 ist sie an den Rollstuhl gefesselt und seit ungefähr sechs Jahren ist sie total hilflos. Was sie und damit auch er alles mitgemacht haben, kann man nur erahnen. Tatsache ist aber, dass er dieses Los mit der grössten Selbstverständlichkeit hingenommen und im Laufe der Jahre seine sämtlichen Hobbys geopfert hat. Ärzte und Pflegepersonal staunten immer wieder, wie er mit allen Problemen allein fertig wurde. Noch mit 70 Jahren trug er die schwere und hilflose Frau allein treppauf und treppab. Natürlich war das unverantwortlich, aber weil alles lief wie am Schnürchen, drückten die zuständigen Ärzte beide Augen zu. Wohl auch deshalb dauerte es so lange, bis man endlich vor etwa einem Jahr für Frau Hediger im Asyl Gottesgnad in Köniz einen Pflegeplatz finden konnte.
Aschi war - wie bereits erwähnt - ein vielseitig begabter Mensch mit vielen Hobbys. Nicht nur die Gürteler, auch der Männerchor Freiheit in Bern, merkten, dass er eine vorzügliche Stimme hatte. Dazu versah er bei diesem Verein das ehrenvolle Amt eines Fähnrichs. Als junger Bursche gehörte er auch dem Arbeiter-Turnverein St. Gallen an und 1931 errang er sogar den ersten Kranz im Nationalturnen! Ausserdem war er ein zäher Läufer. So absolvierte er unter anderem neunmal den Lauterbrunnenlauf. Viel Freizeit verbrachte er auch in den Bergen, vor allem als verwegener Kletterer und Tourenfahrer. Er war - und ist es noch heute - unheimlich kräftig. Mit "Häkeln", "Armziehen" und früher auch bei gelegentlichen Schlägereien mass er sich gerne mit anderen Burschen. Trotz seiner Kraft hat er äusserst geschickte und feinfühlige Hände, wenn man ihm beim Malen zuschaut. Dieses Hobby ist bei ihm nie ganz vernachlässigt worden und in der letzten Zeit beschäftig er sich wieder vermehrt mit seinen Pastellfarben und seinen kleinen Kunstwerken.
Sein schönstes Hobby war aber lange Zeit das Schachspiel. Erlernt hat er es seinerzeit in der Hutfabrik Bähler, als Zeitvertreib, wenn keine Arbeit da war. Walter Lüthi und Alfred Schläfli brachten ihm und den anderen Interessierten (u.a. waren Paul und Ernst Held sowie Rose Fleury dabei) die ersten Kenntnisse bei. Es waren jene Leute, die 1947 den Schachklub Bähler gründeten. Ein Jahr später wurde er (der Vorschlag kam von Aschi) zum Schachklub Gurten umbenannt. Mit Paul Held zusammen war Aschi einer der Hauptinitianten für die Gründung. Er war für jedes Vorstandsamt zu gebrauchen (Kassier, Sekretär, Materialverwalter usw.). Besonders geeignet war er als Mannschaftsführer der ersten Mannschaft; denn er war nicht nur ein starker Spieler, sonder auch ein Betreuer und Kamerad. Seine Spielstärke widerspiegelt sich in je einem Cup- und in einem Sommerturniersieg. Zwei weitere Male war er Cupfinalist. Im Regionalcup stiess er einmal (bei einem weit grösseren Teilnehmerfeld als dies heute üblich ist) bis zum Halbfinal vor. Heute fehlt Aschi durch seinen jahrzehntelangen Unterbruch die Spielpraxis. Immerhin gehört er zu den regelmässigen Lösern des Problems im Gurtenläufer.
Ernst Hediger ist so etwas wie der Grundsteinleger zum guten Geist des ASV Gurten. Mit der verdienten Ernennung zum Ehrenmitglied anlässlich der Jubiläumsfeier im Jahre 1973 hat der Verein dies erkannt und richtig reagiert. Obschon Aschi leider recht selten unter uns weilt, ist er doch über den Verein bestens im Bild durch den Gurtenläufer. Daneben hat er von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, durch eine grosszügige Geste seine Verbundenheit mit den Gürtelern zu dokumentieren. Aus all diesen Gründen ist er nach wie vor für alle Mitglieder (auch für die Jüngsten) ein Begriff. Es fehlt nur noch eines: dass er wieder regelmässig und ernsthaft mitmacht. Andere ältere Semester unseres Vereins erbringen ja den Beweis, dass sowas möglich ist. Jedenfalls sei ihm so oder so für seinen Lebensabend alles Gut gewünscht.
Otto Neuenschwander - In: Der Gurten-Läufer Nummer 4 1982
Milchbüchlein: Früher hatte jede Wohnung beim Hauseingang einen Kasten. Die Familien schrieben ihren Milchbedarf ins Milchbüchlein. Der Käser lieferte frühmorgens frei Haus aus. Bei einem Vertauschen der Büchlein wurde eine Witwe mit drei Litern bedacht und eine Familie erhielt bloss einen halben. Der Begriff "Milchbüchlirechnung" stammt von dieser Rappenzählerei ab...